GESCHICHTE

Kellertheater Brig

Kulturelles Bjiou (WB vom 16.03.2013) oder Das kleine Theater mit dem grossen Programm

Einige Eckdaten zum Jubiläum

«Das Oberwalliser Kellertheater hat in seinem Programm von Anbeginn weg für frische Luft gesorgt, indem es jungen Kulturschaffenden, einheimischen wie internationalen, eine Plattform geboten hat, ihr Talent einem breiten Publikum vorzustellen. Viele dieser Unbekannten sind heute namhafte, erfolgreiche Künstler mit bekannten Namen. Ebenso gelingt es diesem kleinen Theater immer wieder, erfolgreiche Walliser, die in der Deutschschweiz oder im Ausland Karriere gemacht haben, für einen Auftritt zurück ins Wallis zu holen.» (Esther Waeber-Kalbermatten, Staatsrätin, Vorsteherin des Departements für Gesundheit, Soziales und Kultur anlässlich der Kulturpreisübergabe 2013)

Am 11. November 1972 fand im Briger Bahnhofbuffet die Gründungsversammlung des Vereins Oberwalliser Kellertheater statt.  Ein Vorstand von 13 Mitgliedern arbeitete die Statuten aus. Die Stiftung Stockalperschloss stellte einen Keller zur Verfügung, der zur ersten festen Bühne im Oberwallis ausgebaut wurde. Für den Ausbau und die technischen Installationen war ein Betrag von Fr. 75’000 vorgesehen. Mit einer Informationsschrift an alle Oberwalliser Haushaltungen versuchte man an Mitglieder zu gelangen. Und bald hatte man fast an die 400 Mitglieder geworben. Dieses erstaunliche Echo zeigt, dass die Idee eines Kellertheaters durchaus einem Bedürfnis und Interesse weitererBevölkerungskreise entsprach. Die Gründung des Kellertheaters demonstriert auch etwas von jener kulturellen Aufbruchstimmung der frühen siebziger Jahre. 

Das Kellertheater setzte sich zum Ziel, ein möglichst vielseitiges Angebot zu präsentieren, pro Jahr sollten 30 bis 40 Veranstaltungen aller Art durchgeführt werden. Natürlich vor allem Theater, aber auch grössere Aufführungen an anderen Spielorten wie im Kollegiumssaal, im Pfarreizentrum Brig, im Natischer Zentrum-Missione oder in Visp. Daneben sollten Kabarett und Pantomime, Chanson und Jazz, Dichtungslesungen und Vorträge, Marionetten- und Puppentheater nach Brig geholt werden.

Am 16. und 17. März 1973 war es dann soweit. Im Kellertheater hob sich der Vorhang. Auch wenn dieser bis heute eher imaginär geblieben ist. Mit Max Frischs Schauspiel Als der Krieg zu Ende war des Zürcher Theaters 58 startete die neue, die Oberwalliser Kellertheaterära.

Doch ganz so harmonisch verlief die Geschichte des Kellertheaters nicht:

Da ist zum einen der Kampf um die Gunst und Aufmerksamkeit des Publikums: einem ausverkauften Theater stehen Produktionen gegenüber, bei denen sich gerade mal ein Häuflein aufrechter Theaterfreaks einfand. So waren vor Jahren Freiburger Schriftsteller zu Gast. Sie lesen aus ihren Werken vor. Acht Autoren an der Zahl. Im Publikumsraum sitzen ebenso viele Leute. Davon sieben Vorstandsmitglieder. Gleichstand. Ernüchterung macht sich breit. Das Publikum bleibt aus. Aufgeben? Nein, nie! Das entspricht nicht dem Charakter des Kellers, der über die Jahrzehnte zu kämpfen gelernt hat und über seine physische Grösse hinausgewachsen ist. Und die Eröffnung des La Poste in Visp bedeutete gleichsam das Ende der Grossaufführungen des Kellertheaters. Dennoch hat sich das Kellertheater seinen festen Platz auch heute mit der grossen Auswahl an Kulturveranstaltungen im Oberwalliser Kulturleben bewahren können.

Blättert man in den Annalen des Kellertheaters, stellt man bald fest, dass die Sorge um die Finanzen sich wie ein roter Faden durch die 50-jährige Geschichte zieht. Vorstandsmitglieder mussten private Darlehen gewähren, um das Überleben des Kellertheaters zu gewährleisten. Im Gegensatz hierzu ist das Kellertheater zum heutigen Zeitpunkt finanziell gut aufgestellt. Dies ist sicher einerseits auf die verschiedenen öffentlichen Unterstützungsbeiträge (25%) und Sponsorengelder (16%), die Ticket- und Bareinnahmen, Mitgliederbeiträge und andere Einnahmen (59%) zurückzuführen, andererseits aber dank des grossen Umfans an Freiwilligenarbeit. So wurden seit den Anfangszeiten über geschätzte 70’000 Arbeitsstunden ehrenamtlich durch den Vorstand und die zahlreichen Helfer:innengeleistet. Die Anforderungen allgemein und im Besonderen im administrativen Bereich haben sich aber in den letzten Jahren stark erhöht. Eine Analyse der Spielsaison 2021/22 mit 36 Vorstellungen zeigt eine Jahresstundenzahl von rund 2’500Std./Jahr Freiwilligenarbeit – Tendenz zunehmend!

Die Bewältigung der Aufgaben vor allem im administrativen Bereich veranlasste den Vorstand erstmals 2014 eine 20% Stelle zu schaffen. Hierfür wurde das Preisgeld des Kulturpreises Wallis eingesetzt und auch die KuKo Brig leistete einen einmaligen namhaften Beitrag. Dennoch musste die Stelle 2016 aufgegeben werden – zu gross war die finanzielle Belastung – auch weil keine zusätzlichen öffentliche Gelder flossen. 2021 nahm das Kellertheater erneut einen Anlauf und schuf unter Berücksichtigung der momentanen finanziellen Situation auf Beginn des Jahres 2022 eine 30% Stelle. Die Führung eines Kulturbetriebes wie das Kellertheater im heutigen Umfang allein auf der Basis von Freiwilligenarbeit ist nicht mehr realistisch. Zu klein sind die persönlichen Ressourcen, zu fragil die Situation. Zudem fehlt durch den grossen Anteil der administrativen Aufgaben im Vorstand oft die Zeit, kreative Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Diese Stelle wird das Budget des Kellertheaters in naher Zukunft stärker belasten. Die Erfolgsgeschichte des Kellertheaters kann aber nur mit regelmässigen und erhöhten Beiträgen der öffentlichen Hand weitergehen. Auch darum, weil das Kellertheater jeweils eine Reserve von flüssigen Mittel für Programm und Investitionen braucht, um die eingegangenen Verpflichtungen über Saison- und Jahreswechsel hinaus abzudecken.

Und auch Skandale gab es. Das Kellertheater war in der Vergangenheit ab und an dem Vorwurf der Dunkelheit ausgesetzt:So etwa Ende 1973 (also nach erst knapp einem Jahr Spielzeit) bei der Aufführung des Londoner Action Theatre’s mit East of theMoon and West of the Sun, im Untertitel Eine historische Komödie von hinreissendem Humor. Nun, das fanden lange nicht alle Zuschauer, erregte Besucher verliessen während der Vorstellung das Theater, es kam zu einem handfesten Skandal und zu scharfen Protesten. Ein Leserbriefschreiber äusserte sich dahingehend, dass das Kellertheater aus dem dunklen Keller wieder zum hellen Tageslicht emporsteigt. 1998 wünschte sich eine Leserbriefschreiberin nach dem als blasphemisch diffamierten Stück Jesus und Nosus genügend Licht, um kritische und religiöse Gefühle verletzendes Theater voneinander zu unterscheiden. Vielleicht haben Kellertheater sogar erklärtemassen etwas Dunkles an sich. Der Schriftsteller Daniel Kehlmann schreibt in seinem Roman Beerholms Vorstellung: In allen Städten gibt es Kellertheater, luftlose Orte, wo obskure Darsteller obskure Stücke einem obskuren Publikum zeigen.Aber allzu düster geht es im Kellertheater in Brig allerdings nicht zu. Manchmal soll die Dunkelheit auf der Bühne zwar ihren Platz erhalten. Und jene, die in der Dunkelheit stehen, sollen gesehen werden – zu oft entgehen sie der Alltagswahrnehmung. Oder um es mit den Worten Bertolt Brechts auszudrücken: ,,Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht / Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht. Unddie Aufführung von Knuth und Tucek Passion eine Kreuzigung in drei Teilen am Karfreitag 2016 ging ohne grosse Reaktionenüber die Bühne. The Times They Are a-Changin

 Beim Neujahrsempfang 1990 wurde dem Oberwalliser Kellertheater der Kulturpreis der Stadtgemeinde Brig-Glisüberreicht. Im Walliser Boten vom 30. November 1990 schrieb Kulturredaktor Lothar Berchtold: Kleintheater mit Initiative – Mit dem Anerkennungspreis ehrt Brig all jene Personen, welche als Gründer, Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter das Oberwalliser Kellertheater zu einem festen Bestandteil der einheimischen Kulturszene gemacht haben. Dem Oberwalliser Publikum Jahr für Jahr eine abwechslungsreiche Theatersaison, die auch hohen Ansprüchen genügt, zu bieten, erfordert nebst kulturellem Spürsinn auch ein gerütteltes Mass an Arbeit. Lobenswert zudem die Initiative, Eigenproduktionen auf die Bühne zu bringen, einheimische Kräfte zu fördern und auch immerwieder Platz für Kindervorstellungen zu haben. Gründe genug also für die Briger Kulturkommission, das Kellertheater auszuzeichnen.

Dank der Sanierung 1990 des Kellertheaters vor allem mit den Zuschauerpodesten, der grösseren Bühne, dem neuen Verputz, die Chällertheaterbeiz mit Buvette und Lavabo ist das Kellertheater ein ganz besonderes, ein einmaliges Theater geworden, dessen Charme und Ambiance von Künstler:innen immer wieder betont wird. Ab 2000 wurden jährlich Investitionen im Betrag von rund Fr. 10‹000.- getätigt – mehrheitlich aus Eigenmitteln. Dies ist nötig, um die Infrastruktur zu erneuern, zu verbessern und à jour zu halten, damit alles bei den Aufführungen zuverlässig funktioniert und nicht auf einmal allzu grosse Kosten anfallen.

Und auch das Hochwasser vom 24. September 1993 ist ein Kellertheater-Datum. War doch für diesen Abend die GV zum Saisonauftakt angesetzt. Wie so vieles, fiel auch diese ins Wasser. Doch schon zwei Monate später nahm des Kellertheater seinen Betrieb wieder auf: Jetzt erst recht, war das Motto, und das Kellertheater durfte grosse Unterstützung und Anteilnahme von seitens der Künstler:innen erfahren. Allerdings war das auch eine schwierige Saison. Denn Brig war in jenem Winter nicht die Stadt, in der man gerne ausging.

Am 5. Dezember 2013 – just zum 40-jährigen Bestehen – erhielt das Kellertheater den Spezialpreis anlässlich der Vergabe des Walliser Kulturpreis als eine verdiente Anerkennung für vierzig Jahre Förderung des kulturellen Schaffens.

Und auch die Covid-19-Krise überstand das Kellertheater bisher dank der Unterstützungsgelder von Bund, Kanton, Gemeinde und der Loterie Romande und der freiwilligen Arbeit. Ab März 2022 konnten wir ohne weitere Schutzmassnahmen und mit Barbetrieb in die Frühjahressaison starten. Langsam steigt auch die Zuschauerzahl und wir hoffen, bald einmal im gewohnten Rahmen der früheren Spielsaisons das Kellertheaters zu betreiben.